Dienstag, 22. September 2015

Das Gleichheits- und Gerechtigkeitsparadoxum!

Wir empfinden es als gut und richtig, ja als gerecht, wenn alle Menschen die gleichen Chancen und die gleichen Rechte haben - bei den Pflichten sind wir da ja oft etwas großzügiger – zumindest bei uns selbst... Wie finden es gut und richtig wenn alle gleich geliebt, gleich gefördert und gleich behandelt werden. Gleichzeitig müssen wir erkennen, das dem nicht so ist. Weil wir Menschen es ganz offensichtlich nicht so handhaben und weil Gott es mit seiner Schöpfung ganz offensichtlich nicht so handhabt. Begabungen, Krankheiten, körperliche Stärke, Schönheit, Reichtum - kurzum: Alles ist ganz offensichtlich ungerecht verteilt. Viele verlieren ob diesem offensichtlichen Tatbestand ihren Glauben an Gott oder zumindest an einen gerechten Gott.


Und dennoch, viele Christen glauben dass jeder Mensch die exakt gleiche Chance hat, die ewige Seligkeit, den Himmel, die Anschauung und Gemeinschaft mit Gott zu erreichen. Aber ist dem wirklich so?  Das ist eine schwierige und schwerwiegende philosophische Frage. Ich nenne es das Gleichheits- und Gerechtigkeitsparadoxum.

Ich will mich dem Thema zunächst einmal mit einem mathematischen Gedankenmodell nähern. Nehmen wir an es gibt eine Menge von Menschen, die alle zwar ganz offensichtlich unterschiedlich mit Begabungen, Krankheiten, Stärke, Schönheit usw. ausgestattet sind, aber so postulieren wir, in Summe doch alle gerecht - also gleich - behandelt werden und sei es unter Inanspruchnahme der göttlichen Gerechtigkeit und/oder dem Schicksal... Nehmen wir weiter an, jeder Mensch hat die völlig gleiche individuelle Freiheit Gott anzunehmen oder abzulehnen. So würde sich nach den Gesetzen der Mathematik (Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik) bei einer genügend großen Stichprobe - und die Menschheit ist gewiss in diesem Sinne genügend groß - über alle Zeiten im Mittel gleich viele Menschen für und gegen Gott entscheiden. Oder anders formuliert: gäbe es Zeiten, in denen dies signifikant nicht so wäre, gäbe es keine Heilsgerechtigkeit, zumindest keine im Sinne gleicher Chancen für alle zu allen Zeiten.

Wie geht das nun aber damit zusammen, dass uns Johannes in der geheimen Offenbarung berichtet, dass in der Endzeit alle verloren gingen, wenn diese nicht abgekürzt würde? Das würde ja bedeuten, das die Menschen, welche in dieser Zeit geboren würden - na sagen wir mal - Pech gehabt hätten. Dumm gelaufen, sozusagen!

Aber auch die nicht mathematische, religiöse Betrachtung stößt mich immer wieder auf dieses Problem. So beten wir Christen z.B. für unsere Mitmenschen und Ihr Heil. Auch das scheint beim näheren Betrachten zunächst paradox. Einerseits versuchen wir also für Dritte das Heil zu erbeten und somit Einfluss zu nehmen und wenn wir uns schon so Mühe geben dann doch bitteschön auch entscheidenden Einfluss! Andererseits glauben wir fundamental an die Freiheit des Einzelnen sich für oder gegen Gott entscheiden zu können. Und wenn diese Freiheit über allem steht, wer wöllte in sie eingreifen, wenn sie doch gut und gewollt ist?

Lange Jahre hatte ich keine Lösung für dieses philosophische Problem. Bis mich das Nachdenken über einen Umstand im christlichen Glauben weiter gebracht hat.

Es ist das Wesen der Liebe. Das Wesen der Liebe ist, dass sie praktiziert und verschenkt wird. Sie wird nicht verhandelt und gehandelt. D.h. der Empfänger empfängt sie, ober er will oder nicht, er kann sich gar nicht dagegen wehren oder sie ablehnen, was er im Ramen seiner Freiheit nur tun oder lassen kann ist - Sie zu erwiedern. Lesen wir im 1.Korinther Vers 13 so wird dies überdeutlich:
 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht, sie stellet sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbitten, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber der Wahrheit. Sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles.
Wir alle wissen und es leuchtet uns ein, dass Liebe ohne Freiheit nicht funktioniert. Gott hat uns frei erschaffen, damit wir der Liebe fähig sind. Es hat es - selbst als allmächtiger Gott - damit erkauft, dass er seine Souveränität ein Stück weit aufgegeben hat, nämlich genau in dem Masse in dem er uns die Freiheit gewährt hat. Der immerwährende Kampf Gut vs. Böse. Das ist strukturell. Auch die Allmacht ändert an diesem strukturellen Tatbestand nichts.

Die Lösung Gleichheits- und Gerechtigkeitsparadoxums liegt nun in der folgenden ebenfalls zutiefst strukturellen Erkenntnis: Wenn es die Liebe gibt, und das Verschenken von Liebe essentieller Bestandteil ihrer selbst ist, so macht es nur dann Sinn wenn sie beim Beschenkten etwas verändert, etwas auslöst, etwas bewirkt. Dann verändert sich aber auch sein Schicksal, sein Sein, seine Seele ohne sein Zutun und sein Verdienst. Wenn das aber so ist, dann ist es strukturell unmöglich, ob nun mit oder ohne Allmacht, dem einzelnen Individuum das Heil nur ob seines Verdienstes alleine wegen zuzugestehen, es sei denn man würde die Möglichkeit Liebe zu verschenken unterbinden. Wenn dem aber so ist, dann bilden wir Schicksalsgemeinschaften und zwar strukturell und notwendigerweise. In Freundschaften, in Ehen, in Familien, in Gemeinden, in Gesellschaften, in Staaten ja in der gesamten Menschheit. Natürlich dem Wesen der Freiheit gemäß - im Guten wie im Schlechten.

Im christlichen Glauben haben wir übrigens einen sehr schönen Begriff für diese unverdiente Liebe welche wir von Gott empfangen. Es ist der Begriff der Gnade. Auch die Gnade und Heilsnotwendigkeit der Taufe - siehe hierzu auch den Post "Unschuldig verdammt" - erscheint mit diesen Überlegungen in einem ganz neuen Licht.

In diesem Zusammenhang ist es möglicherweise auch sinnvoll, die seit der französischen Revolution kultivierte Gleichheit als Gerechtigkeitsideal zu hinterfragen und sich von ihr zu lösen. Eine Gleichheit die heutzutage sogar versucht alles was schon natürlicherweise Verschiedenartig ist - wie Mann und Frau – gleich zu machen und sei es mit Gewalt... Eine solche Gleichheit – sozusagen als einklagbares Menschenrecht, ist bzw. wäre - wie die obigen Gedanken nachweisen - nur in einer Welt denkbar, in welcher Liebe nicht zugelassen und nicht möglich ist.

Es scheint also so zu sein, dass nicht Gleichheit das Synonym für Gerechtigkeit sein kann! Oder noch anderst formuliert: Die Summer der an Individuen verschenkte Liebe ist nicht bei allen gleich, sonst könnte sie nicht auf dem Wesen der Freiheit gründen. Ohne Freiheit kann es aber keine Liebe geben. D.h. die Gleichung der Gleichheit als Maß für Gerechtigkeit geht so nicht auf.

Und ist es nicht auch so, dass alles was wir sind - ein Geschenk ist. Ein Geschenk Gottes. Ein Geschenk des Schöpfers und seiner Gnade. Als Beschenkter ist es aber nicht statthaft sich zu beklagen. Sich zu beklagen wenn möglicherweise ein Anderer reichhatiger beschenkt wird.

Mit diesen Überlegungen erscheint auch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 19,30) in einem ganz neuen Licht. Die „Lehre“ dieses Gleichnisses ist die paradoxe Umkehr der Maßstäbe der französischen Revolution und damit der heute üblichen Gerechtigkeitswahrnehmung.

Meine Gedanken möchte ich damit schliessen, dass es mir ein Trost ist, dass Gott über unermesslich Gnade und Liebe verfügt, für jeden nicht gleich viel, aber genug, mehr als wir jehmals erwiedern könnten.

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